Grundsätzlich kann man durch die richtige Wahl des Geländes oft vermeiden, bei zu viel Seitenwind an der Winde starten zu müssen. Eigentlich haben wir ja für die meisten Windrichtungen passende Gelände.
Allerdings kann es vorkommen, daß man sich mit der Wettervorhersage verschätzt hat oder das passende Gelände nicht zur Verfügung steht. Dann muß es doch mal sein. In diesem Artikel möchte ich dazu einige Tips geben, damit es dabei nicht gefährlich wird oder zu chaotisch zugeht.
Allgemeines
Offiziell sind Starts bei Rückenwind oder starkem Seitenwind an der Winde nicht ganz DHV konform. Da liegt daran, daß man schon beim Start nahe am Lockdown startet. Umso mehr, je seitlicher der Wind kommt:
Bis 45° ist das alles noch nicht so wild, aber ab >60° sinkt einfach die Fehlertoleranz und der Start wird erheblich erschwert. Gerade bei starken und sehr seitlichem Wind, sollte man sich daher selber kritisch fragen, ob das noch zu den eigenen Fähigkeiten und der Risikotoleranz paßt.
Startvorbereitung
Bei viel Wind legt man grundsätzlich die Kappe nicht komplett aus und sortiert am besten bei noch leicht zusammengeschobener Kalotte die Leinen, da dann der Schirm nicht so windanfällig ist.
Unterscheiden muß man in der Vorbereitung, ob man einen Vorwärts- oder Rückwärtsstart plant. Ersteren würde ich gerade bei Seitenwind nur bis 20 km/h empfehlen, danach wird es nicht nur unangenehm, sondern auch oft ziemlich unkontrolliert gerade bei sehr seitlichem Wind.
Vorwärtsstart
Der beste Kompromiß beim Seitenwind-Vorwärtsstart ist die Kappe in Richtung der Winkelhabierenden zwischen Windrichtung und Startrichtung auszulegen. Dadurch weiß man schon vorher, in welche Richtung der Schirm ausbricht und wohin man unterlaufen muß, nämlich Richtung Winde.
Den Schirm genau in Windrichtung auszulegen, würde bedeuten, daß die Vorspannung bei 90° Wind auch 90° von der Seite käme, was sehr unangenehm zu starten ist, da der Zug einfach zu seitlich ist. Außerdem müßte man dann den Schirm erst noch in Laufrichtung steueren, bevor man abheben kann beim Start, denn der Schirm wird nur steigen, wenn der Zug zumindest teilweise von vorne kommt.
Den Schirm hingegen ganz in Laufrichtung auf die Winde auszurichten, würde bedeuten, daß der Schirm sehr stark seitlich ausbricht und uns wahrscheinlich quer über den Platz ziehen wird.
Und bei Windstärken über 25 km/h ist bei Seitenwind praktisch kein kontrollierter Vorwärtsstart mehr möglich, da es dem Piloten dann zu sehr seitlich wegreißt beim Aufziehen.
Rückwärtsstart
Wer bei sehr starkem und seitlichen Wind an der Winde starten will, muß quasi rückwärts starten. Dabei sollte man bedenken, daß es wenig Toleranz für Fehler gibt und der Winden-Rückwärtsstart gerade bei Seitenwind technisch anspruchsvoll ist. Wer noch nicht sattelfest im Starkwind-Groundhandeln ist, wird sich damit schwer tun. Das ist garantiert.
Auslegen muß man den Schirm nämlich genau gegen den Wind. Es macht anders als beim Vorwärtsstart keinen Sinn in die Winkelhalbierende auszulegen, da man eingedreht den Schirm sowieso erst mal kurz gegen den Wind über sich stabilisieren muß. Dies ist dann auch die erste Fehlerquelle - hektisch Ausdrehen bevor der Schirm sauber stabilisiert ist, führt ziemlich sicher zum Kontrollverlust!
Und nach dem Umdrehen einfach sofort Start rufen, führt ebenso oft zum Kontrollverlust, denn dann zieht einen die Winde seitlich unter dem Schirm weg, welcher sich dann erst mal nicht gut steuern läßt.
Das geht so also nicht. Man muß nach dem Umdrehen unbedingt erst noch den Schirm mit einem Impuls auf der Bremse in Windenrichtung steuern, dann etwas verzögern und erst danach mit dem Unterlaufen beginnen, bevor man Start ruft. Nur dann zieht einen die Winde nämlich beim Abheben genau unter den Schirm. Der Schirm muß immer zuerst dahin gesteuert werden, wo wir hinlaufen wollen / müssen.
Da das ein dynamischer Ablauf mit der Notwendigkeit guten Timings ist, ist das nicht leicht.
Üben
Die beste Übung für den Seitwindstart an der Winde ist, bei mittlerem bis stärkerem Wind Groundhandling zu machen und dabei mit dem Schirm gezielt - vorwärts sowie eingedreht - quer über den Platz hin und her zu laufen. Dabei drauf achten, daß man immer genau dahin läuft, wo man hin will. Quasi einen gedachten Parkour ablaufen. Wenn man das auch bei stärkerem und böigerem Wind kann, ohne die Kontrolle zu verlieren, hat man beim Windenstart bei Seitenwind gute Chancen.
Man muß hierbei nämlich ebenfalls immer zuerst den Schirm in die gewünschte Richtung steuern und seitlich stellen, bevor man dann dosiert hinter dem Schirm her läuft.
In der Luft
Direkt nach dem Abheben ist man bei starkem Seitenwind keineswegs sofort im grünen Bereich. Noch fliegt der Schirm mit starkem Vorhaltewinkel und das ist eine Lock-out gefährdete und unstabile Situation. Man muß also unbedingt sofort nach dem Abheben dosiert Druck auf die Bremse in Windenrichtung geben und den Schirm sauber ausrichten. Hierfür hat man nicht viel Zeit, darf aber auch keinen Pendler in Bodennähe provozieren.
Vorhaltewinkel
Viele Piloten glauben, man macht alles richtig, wenn man mit Vorhaltewinkel auf geradem Wege auf die Winde zu fliegt. Aber das ist leider eine Fehleinschätzung, die vor allem bei starkem und sehr seitlichem Wind gründlich daneben geht. Man würde quasi permanent fast im Lock-out fliegen und der Schirm steigt so auch kaum, sprich das wäre extrem ineffizient. Außerdem kriegt der Windenfahrer nach ner Weile die Krise.
Die einzige Lösung ist, sich stark versetzen zu lassen: Dazu richtet man den Schirm genau auf die Zugrichtung des Windenseils (diese weicht vor allem bei starkem Seitenwind deutlich ab von der Peilrichtung auf die Winde!) aus und versetzt sich somit deutlich mit dem Wind (Diagram links: Windsituation im Flug für den Piloten, Diagram rechts: Resultierender Flugpfad über Grund durch Fliegen in Seilzugrichtung).
Der Flugpfad beschreibt dabei eine quasi Parabel, die erst ganz am Ende des Schlepps genau gegen den Wind und genau auf die Winde zeigt. Weil man immer genau in Zugrichtung des Seils fliegt, ist das sowohl die sicherste als auch effizienteste Weise, den Windenschlepp bei Seitenwind durchzuführen.
Natürlich muß das Gelände das Versetzen zulassen - wenn da eine Starkstromleitung, Autobahn oder Ähnliches ist, dann kann man das Gelände bei starkem Seitenwind vergessen. In Barßel z.B. müssen wir dafür vor der Halle starten.
Ausklinken
Hier achtet man tunlichst darauf, nicht zu früh vorzeitig zu klinken und sich bis fast über die Winde schleppen zu lassen. Sonst freut sich der Windenfahrer, weil er kaum noch das Seil eingezogen bekommt, ohne daß es weit neben die Strecke fällt.
Sollte es zu einem Seilriß kommen, ist es bei starkem Seitenwind besonders wichtig, das Seil nicht einfach hoch abzuwerfen. Das wird sonst ne ziemliche Suchaktion. Bitte erst deutlich ins Luv des Landeplatzes fliegen. Am besten das Seil gut mit einer Hand festhalten und dann die Klinke mit der anderen Hand auslösen und so zur Landung fliegen. Dann wird einem das Seil aus der Hand gezogen, falls es irgendwo verfängt.
Flugplanung
Bei starkem Seitenwind gibt es nur zwei Optionen: Entweder man gast sofort deutlich ins Luv, um dort vielleicht eine Thermik zu suchen und dann vom Luv aus (!) in den Landeplatz abzuachtern, wenn man keine Thermik findet. Findet man eine Thermik, ist man nach 3-4 Kreisen unerreichbar weg vom Platz und muß eine Landung dort vergessen.
Oder man entscheidet sich sofort mit dem Wind wegzufliegen. Das erhöht bei starkem Seitenwind erheblich die Chancen, eine Thermik zu finden. Findet man keine, muß man natürlich zum Platz zurück laufen. Ein klassisches Dilemma.
An einem deutlich thermischen Tag und mit guter Ausklinkhöhe ist die zweite Option meist die Bessere. Seitenwind an der Winde verringert die Chance, am Platz eine Thermik zu finden, weil die Thermiken nur seitlich über den Platz geblasen werden. Eine Thermik während des Schlepps findet man fast nie wieder, denn der Aktionsradius zwischen Ausklinkposition und Landeplatz ist einfach sehr eingeschränkt bei starkem Seitenwind.
In dem Sinne wünsche ich Euch allen noch viele schöne, erfolgreiche und sichere Flüge bei Seitenwind an der Winde!
Zusätzliche Verdeutlichung
..die Zeichnung ist zwar nicht so schön, aber vielleicht erkennt ihr es.
links: ein einfacher Start mit Wind aus Windenrichtung.
Der Pilot startet und fliegt auf dei Winde zu.
rechts: ein Seitenwindstart mit Wind ca. 45 ° von rechts.
FALSCH: Der Pilot startet und fliegt einfach Richtung Winde. Der Schirm steht dabei die ganze Zeit schräg zur Schlepprichtung und ist ständig in Lockoutgefahr. Erkennungsmerkmal: Das Schleppseil macht während des Schlepps einen Bogen in Windrichtung.
RICHTIG: Der Pilot startet den Schirm in Richtung Wind, hebt ab und lässt sich langsam mit dem Wind versetzen (in diesem Fall nach links), bis er den Wind von vorne hat. Diesen Moment kann man gut daran erkennen, dass das Schleppseil keinen Bogen mehr macht, also gerade zur Winde gezogen wird. Erst jetzt fliegt der Pilot direkt auf die Winde zu.
Natürlich müssen eventuelle Hindernisse, Bäume oder Sonstiges dabei beachtet werden. Auch soll das Schleppseil nach dem Klinken nicht auf Hindernisse fallen!
Referenzen
Aus dem DHV Archiv ein etwas allgemeinerer und theoretischerer Beitrag: https://www.dhv.de/medien/archiv/artikel-archiv/sicherheit/sicher-am-windenseil-fliegen/